Kennen Sie den Dude? Das ist die Hauptfigur aus dem Streifen „The Big Lebowsky“, 1998 von den Coen-Brüdern ins Kino gebracht. Der Duuud, ein gealterter Hippie, gespielt von Jeff Bridges, lässt nicht nur Fünfe, sondern gleich alle Primzahlen gerade sein und geht auch schon mal im Bademantel einkaufen. Er steht für ein Leben im schlappen Adiletten-Tempo und für Müßiggang, so wie John Rambo für Muskeln und meist eher einsilbige Dialoge.
Ob das für eine erstrebenswerte Biografie reicht oder nicht, sei Ihnen überlassen. Der Film jedenfalls ist längst Kult. Neulich las ich sogar einen Roman, der damit anfing, dass der Ich-Erzähler mit seiner Freundin am „Big Lebowsky-Tag“ – den gibt es tatsächlich, es ist der 6. März – mit Bademänteln angetan durch die Münchener Innenstadt schlenderte. Bis zum Hofbräuhaus, wo er allerdings leicht nachvollziehbare Probleme mit einem Türsteher bekam. Egal – ein derartiger Mottotag wurde ansonsten eigentlich nur dem Roman Per Anhalter durch die Galaxis zuteil: Am 25. Mai, dem Towel-Day, trägt der Fan des Autors Douglas Adams ein Handtuch um den Kopf gewickelt oder zumindest mit sich. Gut, den (gelispelten) Star Wars-Tag am 4. Mai („May the fourth“, das „be with you“ müssen Sie sich dazudenken) gibt es auch noch.
Jedenfalls: Beim Thema „Ärger im Bademantel“ fiel mir siedendheiß ein, dass ich auch einmal mit einem derartigen Stück frottierter Behelfs-Oberbekleidung angetan Stress mit der Polizei bekam.
OK: kann vorkommen. Sagen wir, wenn die Polizei anlässlich eines brennenden Autos vor der Türe klingelt, während man unter der Dusche steht. Nur: Bei mir war das unter freiem Himmel. Auf einer Verkehrsinsel. In einem Januar.
Reif für die Insel
Vielleicht muss ich das erklären. Also, es war 2007 und es hatte mit einem Geocache zu tun. Das sind kleine Dosen mit irgendwelchem Schund und einem kleinen Logbuch drin, die man versteckt und deren Koordinaten man dann veröffentlicht – so dass andere dieses Ding finden können. Weltweit muss es Millionen davon geben, es gibt „Geocacher“ hierzulande, die haben jeweils schon tausende entdeckt. Jedenfalls wurde damals bin der Nähe meines Büros ein neuer Kreisverkehr errichtet. Mit einer wunderbaren Insel in der Mitte. Damals noch eher karstig, provisorisch bedeckt mit dem Ruhrpott-typischen Schlacke; einige Unkräuter versuchten hier gerade Fuß zu fassen.
Aber: eine Insel! So wie irgendwo auf dem Pazifik ab und an kleine Atöllchen gesichtet werden, die bei der letzten Schiffspassage noch nicht da waren, weil in der Zwischenzeit ein kleiner Unterseevulkan ausgebrochen ist. Irgendwie kam ich also auf die Idee, da so eine Dose zu verstecken. Es handelte sich schließlich um unerschlossenes Neuland! In der Cache-Beschreibung bat ich darum, dass die Finder an Ort und Stelle irgendein Foto in Ferienoutfit von sich machten. Ich selbst zog mir meinen blauen Bademantel über, steckte mir ein Handtuch in den Gürtel und machte mich auf, um zu gucken, wen es dahin verschlug. Und dann wurde die Sache, äh: größer.
Aus allen Himmelsrichtungen kamen Geocacher und nahmen das Ding in Besitz. Einer stellte einen Liegestuhl auf, zog sich bis auf eine Badehose aus, cremte sich ein und legte sich in die Wintersonne. Bei gefühlt Minus 220 Grad – während sich im Hintergrund Gewitterwolken auftürmten. Jemand brachte ein aufblasbares Paddelboot mit, andere trugen Hawaii-Blumenschmuck oder eine Taucherbrille mit Schnorchel, es gab aufblasbare Schwimmtiere, -Reifen und Bälle, Handtücher, ein Sonnenschirm wurde entfaltet, ein knallgelbrotes Surfbrett tauchte auf, jemand verteilte Käsehäppchen, andere lutschten an mitgebrachtem Eis und lächelten in die Kameras, die alle mitgebracht hatten. Kurz: Es war eine herzliche Sause. Und wegen der Schlacke tauften wir unser Eiland auf den Namen Vulkaninsel. Es war für ein paar Minuten unser Ibiza.
„Für irgendwas demonstrieren Sie doch?“
Und dann – tauchte die Polizei auf. Zwei sichtlich irritierte, aber darum nicht weniger abgebrühte Beamte parkten ihren Streifenwagen am Straßenrand, schauten eine Weile zu uns rüber und machten sich dann auf den Weg. „Wer ist denn hier bitte zuständig?“ Einige der Leute zeigten auf mich – und es entspann sich folgender, aufschreibenswerter Dialog:
„Was ist denn das hier?“
„Ach, das ist so eine Spaßaktion. Das ist eine Verkehrsinsel und wir sind alle reif für die Insel und darum haben wir uns gedacht …“
„Das ist doch eine Demonstration!“
„Nein. Das ist alles nur ein großer, äh, Spaß.“
„Wir sind nämlich reif für die Insel“, rief jemand im Hintergrund.
„Aber für irgendwas demonstrieren Sie doch?“
„Nein. Wirklich nicht.“
„Man demonstriert doch immer für irgendwas“, sagte der eine Polizist. Und der andere, ein wenig jovial: „Und wenn es nur für mehr gute Laune ist.“
Während ich überlegte, ob ich mir jemals im Leben ausgemalt hatte, im Bademantel auf einer schmucklosen Verkehrsinsel am Stadtrand von Bochum mit zwei Polizisten über den Sinn und Unsinn des Lebens zu diskutieren, beobachteten die Wachtmeister den Verkehr. Der jüngere zeigte bald auf eine Autofahrerin, die durch die sich bietende Situation offenbar ein wenig herausgefordert war. Sie umkreiste unser Eiland im Schritttempo.
„Wie dem auch sei, Sie stören hier den Verkehr“, sagte der ältere.
„Aber wir stehen hier doch nur herum?“
„Ja, aber die Leute gucken. Wie schnell ist da ein Unfall passiert. Sie müssen hier weg.“
Wir wurden also freundlich, aber mit einiger Bestimmtheit gebeten, die gegenüberliegenden Ufer anzusteuern und jegliche Partyaktivitäten auf unserer Vulkaninsel einzustellen. Was, ehrlich gesagt, ohnehin anstand, denn zwischenzeitlich hatte sich der Himmel derart verfinstert, dass die Welt aussah wie eine Schiefertafel, auf die jemand alles andere, grell ausgeleuchtet, gemalt hatte. Kurz darauf brach eine Sintflut los und unser schöner Urlaub war so oder so vorbei. Ich sah noch, wie der Typ mit dem Surfbrett zu seinem Auto rannte, sein Sportgerät über dem Kopf. So Dinge prägen sich ein.
Es ist nichts passiert
Warum schreibe ich das hier? Ganz einfach: Weil nichts passiert ist. Ich – und einige andere – standen in einem lächerlichen Outfit in der Kälte herum, mussten uns sogar mit der Polizei auseinandersetzen, die – in diesem Falle wohl stellvertretend für die Gesellschaft der Normalos – mit all dem so überhaupt nichts anfangen konnte. Peinlicher geht es eigentlich nicht mehr.
Und, noch einmal: Nichts ist passiert. Keine Erde tat sich auf, um mich zu verschlucken, kein Blitz fuhr hernieder, um mich zu strafen (übrigens ist auch der Typ aus dem eingangs erwähnten Buch auch an der Security vorbeigekommen, um seine Bademantel-Aktion im Hofbräuhaus gebührend zu feiern).
Im Gegenteil: Weil wir diesen Unsinn gemeinsam durchgestanden haben, waren wir anschließend noch fester verbunden, meine Geocaching-Kollegen und ich. Was blieb, war ein Hochgefühl: Wer sich der Lächerlichkeit preisgibt und darüber lachen kann, der bekommt wohl einen Teflon-Bademantel geschenkt. Und eine Story, die man einer Menge Leute erzählen kann. Könnte nützlich sein, wenn man mal auf dem Sterbebett liegt und sich fragt: Was habe ich da eigentlich all die Jahrzehnte getrieben?
Gut, das mag auch daran gelegen haben, dass wir viele waren und uns gegenseitig stützen konnten. Aber das ist ja auch nur die erste von mindestens drei Seiten der Medaille.
Elegant auch mal Schlagbäume umtreten
Es gibt nämlich Persönlichkeits-Coaches, die ihren Klienten raten, sich ganz bewusst der Lächerlichkeit zur Beute zu machen oder einfach mal ein wenig, sagen wir: ungewöhnliche Dinge zu tun. Zum Beispiel sich mitten in der Stadt auf eine Bank zu stellen und laut vernehmbar eine Rede unsinnigen Inhalts zu halten, etwa über die Mehrwertsteuer-Problematik beim Robbenfüttern in Brasilien. Im Supermarkt Leute ansprechen – einfach so. Rückwärts über eine Straße gehen (grüne Ampel vorausgesetzt). Oder mit geschlossenen Augen durch eine volle Fußgängerzone. Mit roten Pythonleder-Boots zum grauen Anzug in ein Meeting platzen. Also einfach mal das zu tun, bei dem es einen unangenehm kribbelt, wenn man auch nur daran denkt. Weil man sich lächerlich machen könnte. Weil jemand den Kopf über einen schütteln könnte.
Gut, es gibt Dinge, die ich da vermutlich auch nicht mitmachen würde, zum Beispiel sich nackt in die Straßenbahn zu stellen – was ja ein beliebtes Alptraum-Motiv sein soll, insofern also durchaus einer professionellen Aufarbeitung harren könnte. Aber es stimmt: Wenn man die Ränder seiner Komfortzone etwas dehnt, ist die Take-home-Message: OK, bis hierhin ist vielleicht alles doch nicht so wichtig.
Mit Lachen führen
Eigentlich steht ja hinter dem „sich lächerlich machen“ im Kern der Gedanke, sich jemandem unterordnen zu müssen – nämlich denen, die sich dann über einen beömmeln. Lachen – und Kopfschütteln – schafft eine Hierarchie. Normalerweise. Wenn man ausgelacht wird, winkt der Statusverlust, die Angst, die Karriereleiter mindestens drei Stufen nach unten zu fallen. „Ausgelacht werden“ kommt direkt vor „unter einer Autobahnbrücke pennen und aus Mülleimern leben müssen“.
Aber – und hier kommt die zweite Seite der Medaille: Das bewusste Rütteln an der eigenen Angst ist etwas, das einen stärker macht. Anders ausgedrückt: Lachen, das man provoziert, macht einen eben nicht lächerlich, sondern mächtiger. Weil man so die Kontrolle gewinnt. Wirklich gute Comedians haben ihr Publikum zu jeder Zeit im Griff. So lange sie nicht anfangen, auf offener Bühne zum Beispiel Hundewelpen zu erschießen – dann wäre es mit der Kontrolle schnell vorbei. Aber wer andere bewusst dazu bringt, zu lachen oder den Kopf zu schütteln, hat sie in der Hand – weil er begriffen hat, wie sie ticken.
Blinker an und raus
Warum dann also nicht, dritte Seite der Medaille und unser heutiger Endgegner, das Kopfschütteln der Anderen einfach als Kompliment nehmen? Das zeigt ja nur, dass man ganz gezielt etwas macht, das andere nicht auf dem Schirm haben. Was gibt es cooleres, als auf ausgetretenen Pfaden den Blinker anzuwerfen, auszuscheren und Dinge zu versuchen, die andere nicht wagen würden?
Denn dahin, wo wir jetzt sind, hat uns ja der Weg gebracht, den wir bisher gegangen sind. Wenn es da nicht weiter geht, müssen wir von hier an eben andere Pfade einschlagen. Und die muss man vielleicht manchmal ein Stück weit im Bademantel gehen.
Darum sind Leute, die andere Wege beschreiten als die meisten, oft auch bessere Gesprächspartner – oder einfach nur interessante Menschen. Weil sie zumindest einmal etwas hinterfragt haben. Und das Kopfschütteln der Anderen aushalten können. Weil sie ein Stück Weisheit in sich tragen, das sie unabhängig vom Lob der anderen macht. Weil sie ein Stück Weg gegangen sind, den andere normalerweise nicht einschlagen – und berichten können, wie es da so war.
Wer aus der Reihe tanzt, wird wahrgenommen.
Und damit sind wir wieder bei der Schnittmenge zwischen Kunst und Wirtschaft, um die sich in diesem Blog in der Regel alles dreht. Erfolgreich sind hier wie da nicht die Leute, die zaudern, selbst wenn sie die besten Ideen haben. Sondern die, die losgehen, egal, was Andere sagen. Manchmal marschieren welche mit kompletten Schnapsideen los, klar, aber selbst dann bewegen sie immerhin etwas, aus dem etwas Neues entstehen kann. Wie schade ist es, dass so viele Leute mit genialen Gedanken diese nur in ihrem inneren Altarraum feiern, anstatt diese vielversprechenden Keimlinge (fast hätte ich Keime geschrieben) auch ins Sonnenlicht zu lassen. Wie viel besser wäre die Welt!
Noch ein Gedanke dazu: Wenn ich an „Großkunst“ denke, fallen mir zuerst Leute wie Jonathan Meese ein. Ich gebe zu: ich kann mit seinen Arbeiten nicht besonders viel anfangen. Aber er ist laut, er provoziert. Er steht, bildlich gesprochen, jeden Tag im Bademantel auf irgendeiner Bühne, die er sich auch noch selbst schafft. Vielleicht ist ja das Kopfschütteln der Anderen sein eigentliches Werk.
Und, ein letzter Punkt: Manchmal geschieht das, vor dem wir Angst haben, auch aus: Bewunderung. Man lacht befreit auf, man schüttelt den Kopf eben auch, wenn einen etwas komplett umbläst. Endlich mal was Neues: wie erfrischend! Nur wer aus der Reihe tanzt, wird wahrgenommen.
Gut, Sie müssen kein Meese werden. Aber vielleicht ab und zu zum Dude. Gehen Sie doch auch mal im Bademantel durch die Stadt. Muss ja nicht unbedingt ihre sein. Merke: Jeder Tag, an dem niemand den Kopf über Sie schüttelt, ist ein verlorener Tag.
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