Alles oder Nichts?
Triggerwarnung: Heute wird es wirklich ein wenig philosophisch. Noch ein wenig mehr als sonst. So ein bisschen Stephen-Hawking-style. Besser also, Sie holen sich noch schnell eine Tasse Kaffee.
Denn von einer Tasse Kaffee kann man eine Menge lernen! Schauen wir einfach mal genauer hin, gönnen uns ein klein wenig Ruhe und sortieren im Kopf mal eben die Bestandteile des Wachmachers in Ihrem Becher. Um es kurz zu machen: Abgesehen von einigen sekundären Pflanzeninhaltsstoffen wie etwa Koffein besteht selbst ein starker Espresso hauptsächlich aus: Wasser.
Und Wasser, Agua, Acqua, Vatn, води, νερό, H2O, das ist ein tolles Zeug! Gut, der Chemiker sieht hier eigentlich nur zwei Wasserstoffatömchen, die sich mit je einem Sauerstoffkollegen jeweils ein Elektron teilen wie zwei Tennisspieler einen Ball – was man in traditionellen chemischen Hieroglyphen als Ärmchen oder Strichlein zwischen den Elementsymbolen darstellt: H-O-H. Soweit ganz nett, aber eigentlich auch: irgendwie langweilig. Was soll daran cool sein?
Obacht! Obwohl Formeln wie diese bereits eine unfassbare Errungenschaft sind, dank der Chemiker zum Beispiel schon mal Penicillin oder Kautschuk relativ ordentlich nachbauen können, ist das mit den Atom-Strichmännchen eine ziemlich vereinfachte Vorstellung. Zumindest, wenn Physiker an Deck kommen und die Sache übernehmen. Für diese haben wir es bei Wasser (und praktisch allen anderen Dingen wie etwa Zucker, Sportwagen, Ihnen oder, sagen wir: Planeten) neuerdings im Wesentlichen zu tun mit … nun ja, sagen wir es ganz offen: mit ein klein wenig kompliziert aufgebautem, etwas ineinander verschraubtem Nichts.
Schatz, da ist Nichts …
Wie kann das sein? Moleküle wie Wasser kann man in besonders ausgefuchsten Mikroskopen inzwischen durchaus sehen. Die sind doch alles andere als Nichts! Gut. Aber so einfach ist das nicht: Sie haben nämlich eine Ausdehnung, weil sie aus etwas anderem zusammengesetzt sind. Aus Teilchen, die für ihr Zusammenspiel Platz brauchen: Den eben genannten Atomen.
Auch die kann man sich mittlerweile in Spezialanlagen, etwa so groß wie Garagen und voller Kabel, Schläuche und seltsamer Apparate, ansehen. Ich selbst habe in der Apparatur eines Studienkollegen mal eines leuchten sehen und war davon tagelang recht ergriffen. Aber auch die bestehen aus etwas anderem. Nämlich Kernen und Elektronen.
Heute lernt man ja schon in der Schule, dass Atome eigentlich praktisch leer sind. Sie sind etwa 10.000 mal größer als die Atomkerne in ihrer Mitte. Zwischen diesen und den drumherum summenden Elektronen: ist eigentlich nichts. Oder eben Nichts (man beachte das groß geschriebene „N“).
Aber das ist simpel, daran denke ich hier gar nicht. Um zu erklären, was ich tatsächlich meine, muss man noch näher hinsehen. Also: So ein Bindungsärmchen-Elektron ist im Vergleich zu seinen Atomen unglaublich winzig. Um nicht zu sagen: nichts als ein Punkt in der Landschaft, so klein, wie es sich eigentlich nur wirklich, wirklich detailverliebte Mathematiker ausdenken können. Selbst wenn man ganz nah rangeht, so dass selbst Atome uns im Vergleich dazu so groß vorkämen wie Medizinbälle im direkten Anflug kurz vor unserer Nase, ist es immer noch so mini, dass man keine Details erkennen kann. Ein Elektron bleibt ein Punkt. Punkt.
Physiker haben tatsächlich nachgeguckt und mussten irgendwann aufgeben. Neueste Schätzung: So ein Ding ist kleiner als der zehnmilliardste Teil eines Milliardstel Meters. Das ist nun wirklich nichts.
Gluonen-Watschn-Tennis
Trotzdem trägt das Teil-chen eine elektrische Ladung durch die Gegend. Wie es das genau macht oder wo so ein winziges Objekt diese Ladung, mit der man immerhin Großbildfernseher und sogar Fernzüge antreiben kann, hinpackt oder herbekommt, das wusste lange Zeit niemand – wir kommen darauf zurück. Jedenfalls: Das ist so, als ob man eine Batterie in ein Auto lädt, das eigentlich gar nicht da ist, und damit von Madrid nach Singapur fährt, um dort einen iPod einzuschalten.
OK: Im Vergleich dazu hat der Atomkern, um den so ein Elektron seine Runden zieht, auch wieder eine gewisse Ausdehnung. Aber nur, weil der Keller unserer Atome seinerseits aus etwas anderem zusammengesetzt ist. Aus Protonen und Neutronen.
Und hier geht das Spiel weiter: Auch an diese könnte man jeweils wieder ein Messband halten. Darin sitzen nämlich jeweils drei Quarks (ich habe mir den Namen nicht ausgedacht!), die sich jeweils wiederum ständig gegenseitig sogenannte Gluonen an die Backe kleben. Das sind, äh, Klebstoffteilchen, die das Quarks-Trio letztlich aneinander haften lassen. Für dieses Gluonen-Watschn-Tennis braucht die Natur offenbar etwas Platz. Die Quarks selbst sind sehr wahrscheinlich auch wieder nur ungefähr so groß oder klein wie ein Elektron. Das ist schwer herauszufinden, weil man diese Dinger, anders als Elektronen, niemals einzeln zu Gesicht bekommt. Aber es deutet einiges darauf hin. Für die Gluonen gilt Ähnliches.
Der Popstar unter den Formeln
Unter’m Strich können wir also festhalten: Wenn man genau hinguckt, findet man in allem, das irgendeine Größe hat, am Ende Bausteine, die der Prototyp von „winzig“ sind. Praktisch unendlich klein. Auf Deutsch: eigentlich gar nicht da.
Ziemlich viel Nichts also für etwas Kaffee, der einem ganz schön das Sakko versauen kann, wenn man ihn auf dem Weg in den Konferenzraum verschüttet. Kein Wunder, dass bereits kein geringerer als Einstein, ohne von Milchprodukt- und Klebstoff-Elementarteilchen auch nur zu ahnen, irgendwann zu der Ansicht kam, dass da irgendwas nicht stimmen kann. Später bekam er dann auch noch heraus, dass eigentlich alles Energie ist. Beziehungsweise, etwas anders ausgedrückt, Masse und Energie letztlich sogar ineinander umgerechnet werden können – wobei der Umrechnungsfaktor ausgerechnet die Lichtgeschwindigkeit ist.
Gut, das ist, als ob sich die Bestleistung im Gewichtheben aus dem Speerwurf-Weltrekord ergibt, wenn man die Anlaufgeschwindigkeit des besten Weitspringers kennt – Mysterien der Physik. Nicht umsonst hat es die Formel, zu der Einstein diesen Gedanken verdichtet hat, sogar auf T-Shirts gebracht: E=mc2. Das ist gewissermaßen der George Clooney unter den Formeln.
Durch ganze Planeten wie durch Nichts
Alles Nichts also? Nun ja. Machen wir noch mal einen kleinen Schritt zurück. So ganz genau genommen stimmt das mit der großen Leere im Atom, die wir eben so nonchalant durchmessen haben, nämlich auch wieder nicht. Denn erstens ist das Elektron eigentlich nur dann ein winziger Punkt, wenn es in irgendeiner physikalischen Apparatur in Parkposition steht, wenn die Leute mit den Kitteln also ganz genau wissen, wo sie danach suchen müssen. In Molekülen und Atomen ist es aber mal hier, mal da, genau genommen überall und nirgends. Und zwar gleichzeitig.
Für dieses Gewusel braucht das Elektron durchaus etwas Platz, obwohl es selbst, ganz bescheiden, gar keinen in Anspruch nimmt. Stellen Sie sich eine winzige, aber unendlich schnelle Flipperkugel im Zeitraffer vor, dann haben Sie zumindest schon mal eine ungefähre Vorstellung von dem, was sich da abspielt. Letztlich kann man sich so ein Elektron auf seiner Reise um den Atomkern durchaus als eine Art ungreifbares Nichts vorstellen, eine Art Wolke, die eine Ladung trägt und irgendwie um den Kern wabert.
Wem jetzt auffällt, dass man nicht durch Wände gehen kann, obwohl alles, wie erklärt, eigentlich im Wesentlichen Nichts ist: Hier ist der Grund. Es wuseln eben überall, in allen Molekülen, Elektronen herum, und deren Ladungen stoßen sich halt gegenseitig ab. Kopf gegen Wand ist nichts anderes als Ladung gegen Ladung: kein Durchkommen. Was man übrigens an ganz anderen Teilchen sieht, denen geladene Elektronen völlig egal sind: Die können locker durch ganze Planetensysteme jagen, ohne irgendwo anzuecken. Die arroganten Neutrinos zum Beispiel beherrschen sowas – vielleicht schon mal gehört. Aber ein Finger voller Elektronen und ein Tisch voller Elektronen: die mögen sich nicht, da ist kein Durchkommen, die stoßen sich ab – und wir haben das Gefühl, da wäre etwas und nicht Nichts.
Mutter Natur ist ein Hater
Zweitens: Auch das mit dem Nichts als Nichts stimmt nicht so ganz. Denn die liebe Mutter Natur ist eigentlich ein Hater. Sie hasst vor allem das Nichts. Jedes Vakuum, also jedes Stück Weltraum, in dem nichts ist, ist für sie ein rotes Tuch. Sie möchte es mit irgendwas füllen wie eine durchgeknallte Mutti, die keine leeren Töpfe erträgt und überall Kartoffelpüree hineinbatscht. Und das tut sie, indem sie im leeren Raum immer wieder winzige Elementarteilchen-Paare aufpoppen lässt.
Die Energie, die es dazu braucht – voilá: E=mc2! – leiht sie sich quasi vom Nichts. Quantenmechanik kann eben Dinge, die jeden Banker in den Wahnsinn treiben würden: Ein Vorher und ein Nachher zum Beispiel gibt es unter Teilchens unter manchen Umständen gar nicht. Nach einem Sekundenbruchteil zerstören sich diese Dinger denn auch gegenseitig wieder und geben dem Nichts die geliehene Energie komplett wieder zurück. Konto glatt, Zeit für den nächsten Kredit, das nächste Teilchenpaar aus dem Nichts.
Durch diesen ewigen Elementarteilchen-Flashmob im eigentlich leeren Raum kann es also durchaus sein, dass das Nichts, das Vakuum, tatsächlich etwas wiegt! Untersuchungen dazu sind im Gange, aber, wie man sich denken kann, ein wenig schwierig.
Eins für alle?
1:1 also für das Duell Etwas vs. Nichts? OK, das nun auch wieder nicht. Zielgerade: Letztlich, so einer der letzten Schreie der Physiker, die über derartige Fragen auf ihren Lehrstühlen grau und grauer werden, sind diese wuselnden Elektronen, sich abwatschenden Quarks und ständig aufpoppenden Teilchen womöglich nur Anregungen irgendwelcher seltsam aneinander verklöppelter Quantenfelder. So wie Wellen, die entstehen, wenn man ein Seil schlägt. So ein Seil liegt wie ein physikalisches Feld normalerweise nur herum. Die Wellen tauchen erst auf, wenn man es bewegt. Physiker sagen: Wenn man es anregt. Und die sehen immer gleich aus – probieren Sie das mal.
Das erklärt ganz nebenbei auch, warum zum Beispiel alle Elektronen komplett gleich sind. Es gibt keine blauen, gelben, grünen, kartoffelförmigen oder Wolfgang-Petry-Fans darunter. Wo gibt es das in der Natur sonst? Nichts ist etwas anderem je völlig gleich! Außer in der Mathematik.
Statt Myriarden von Elektronen gibt es in dieser Lesart eigentlich nur ein Elektronen-Quantenfeld, das eben nur gerade überall da in Erscheinung tritt, wo Elektronen gefragt sind – wo das Feld also „angeregt“ wird. Selbst die seltsame negative Ladung ist nur ein anderer Name für eine Eigenschaft dieses Feldes, die für eine bestimmte Wechselwirkung mit irgendwelchen anderen Feldern steht. Dafür braucht es keinen Platz, keinen Koffer, keine Tasche. Das ist einfach nur ein Netzwerk von Gleichungen.
Dieser Theorie nach können Elektronen & Co. also eigentlich kaum etwas anderes sein als die mathematisch kleinen Punkte, die wir finden, weil sie sich aus Feldern ergeben, welche die Natur zur Geburtstagsfeier des Universums, vermutlich reinem Zufall folgend, aufgespannt hat (OK, etwas später schon). Zumindest passt die Idee gut zu dem, was wir so messen.
The final twist
Eines dieser Quantenfelder hätte es vor einiger Zeit übrigens glatt auf die Titelseiten einschlägiger Magazine geschafft, wenn es wenigstens nach irgendwas aussehen würde oder Fußballer-Weisheiten von sich geben könnte: Das Higgs-Feld. Ein Feld, das den Elementarteilchen erst seine Masse verleiht. Und einem freundlichen alten Herrn gleichen Namens eine Nobelpreis-Medaille verschafft hat, der sich als junger Forscher mal kurz über das Thema Gedanken gemacht und sich dann lieber einen anderen Job gesucht hat.
Ein Quark zum Beispiel wiegt nur deshalb etwas, weil das entsprechende Quark-Feld irgendwie mit dem Higgs-Feld verschraubt ist. Tatsächlich hatten Physiker sich über Jahrzehnte gewundert, warum Dinge überhaupt etwas wiegen. In ihren Quanten-Gleichungen kommt so etwas wie Masse nämlich gar nicht vor. Bis Higgs eben auf die Idee mit seinem Feld kam und es in Folge zu einer Art Thomas Pynchon der Physik wurde: Es muss da sein, schließlich sieht man, was es anrichtet – es selbst wurde aber lange Zeit nie gesichtet.
Übrigens: In den Medien ist statt vom Higgs-Feld öfter von Higgs-Teilchen die Rede. Wenn Sie sich das bisher Gelesene in Erinnerung rufen, können Sie das vielleicht verstehen. Aber keine Sorge: Niemand fragt Sie das ab – und es sind durchaus schon Leute wegen weniger wirren Vorstellungen in die Zwangsjacke gekommen. Also vielleicht nicht allzu lange drüber nachdenken.
Bleiben wir also einfach bei meiner take-home-message: Wir sind womöglich nur Felder im leeren Raum. Die durch einfache Gleichungen beschrieben werden können. Alles Felder! Erklärt durch Gleichungen, die auf ganz simplen Grundannahmen beruhen. Oder sollte man sagen: Geist? Geist, der uns vorspiegelt, etwas könnte massiv sein oder sogar ein Gewicht haben und etwas anderes nicht?
Dat is Zen
Und das ist nun endlich meine Botschaft: Es besteht eine gute Möglichkeit, dass Kaffee, Sie und alles Andere, eigentlich aus Nichts gemacht sind. Aus irgendwie in sich verdrehter Energie und ineinander verschraubten, körperlosen Feldern, seit Anbeginn der Zeit aufgespannt im leeren Raum, die uns glauben lassen, es wäre etwas, selbst Gewicht oder das Gefühl, das man etwas anfassen könne. Mehr noch: Wir glauben nur, etwas zu sein, weil wir aus demselben ungreifbaren Gespinst von Feldern bestehen wie alles andere, in deren Gleichungssystemen genau eingepreist ist, wie und nach welchen Regeln unsere Bestandteile miteinander auskommen.
Wir alle sind also eigentlich Nichts. Felder. Gleichungen. Oder eben Geist, wenn Sie so wollen. Und aus diesem Geist erwächst unser Geist.
Das ist reines Zen. Oder Gott und die Welt? Ich jedenfalls finde diesen Gedanken erschütternd beruhigend.