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Gott liebt die, die Fehler machen – Teil I

Vielleicht muss ich jetzt erst mal was erklären. Das mit dem „Gott“ im Titel. Keine Sorge, dieser Blog bleibt weltanschaulich: nun ja, indifferent. Aber zum einen versuche ich, meine Botschaften immer auf den Punkt zu formulieren. Zum anderen höre ich gerade eine uralte Platte zweier Klangkünstler, die mir in den späten 1980ern mal in die Hände gefallen war und in der ziemlich oft das Wort „Gott“ vorkommt. Kein Wunder bei einem Werk, das „Bergpredigt“ heißt – und tatsächlich etwas weihrauchig daherkommt. Das Epos kennt heute niemand mehr. Damals eigentlich auch nicht. Zumindest außerhalb eines arg überschaubaren Kreises durchgeknallter Musik-Freaks, zu denen ich mich, leider auch im Blick auf meine Beliebtheit in meiner Peer-Group, zählen musste. Vielleicht wäre ich besser Stones-Fan gewesen … 

 

Aber diese Scheibe (sagt man das heute noch?) war eines der ersten Konzeptalben, die mit dem damals flammneuen Fairlight-Musikcomputer produziert wurde – den in UK übrigens kein geringerer als Peter Gabriel vertrieben hatte. Der Mann war damals noch knapp bei Kasse, wollte das Ding aber unbedingt spielen. Das graue Teil mit Klaviertastatur und hässlichem Bildschirm kostete 1983 so viel wie ein Reihenhaus. Ein paar Jahre später konnte das, was dieses Instrument damals drauf hatte, mein erstes iPhone.

 

Aber ich schweife ab. Was wahrscheinlich an der Zeit liegt, in der ich mal für Musikermagazine wie KEYBOARDS geschrieben habe. Chemie alleine war mir immer zu langweilig. Haben Sie mal Künstler interviewt, die Sie aus dem Radio kennen? Ich schon.

 

Und irgendwas bleibt ja immer hängen.

 

 

Die Sache mit dem vergessenen Schwefel

 

Ach Gott, jedenfalls hoffe ich, dass ich mit diesem Mini-Exkurs keinen Fehler im Blick auf meine Leserzahl gemacht habe. Denn heute werde ich tatsächlich über Fehler schreiben. Es stimmt ja: Wer je einen Kollegen wegen eines kleinen Malheurs mit einem Gewicht an den Füßen in den Genfer See geworfen hat, leidet in der verbliebenden Belegschaft heute oft unter einem wenig vorteilhaften Leumund. Weil Fehler nun mal jedem passieren. Und man ein Arschloch ist, wenn man darauf dann herumreitet wie auf einem schlecht isolierten elektrischen Pferd. 

 

Darum möchte ich Ihnen heute einmal erklären, dass Fehler nichts Blödes sind, das man aus Modegründen irgendwie vorüberziehen lassen muss wie schlechtes Wetter bei der eigenen Geburtstagsparty. Sondern etwas Großartiges. 

 

„Fehler sind Geschenke“, wie es neulich ein Kollege von mir ausdrückte. Und da muss man gar nicht bei so Kloppern wie Kolumbus’ Amerika-Entdeckung anfangen – der ja strenggenommen auch kein Fehler in dem Sinne war. Und das mit der kugelrunden Erde, von der mutige Seefahrer gar nicht runterfallen können, das war schon damals alter Tobak, das hatte ein paar Jahrtausende davor schon ein kluger Grieche herausgefunden. Mutig – oder verrückt – war das „Projekt Indien“ trotzdem.

 

Aber ich schweife schon wieder ab. Besser geeignet, gerade für Leute in der Polymerbranche, ist da eher die Story von der Entdeckung der Gummi-Welt durch Charles Goodyear. Zu seiner Zeit, das war so etwa in der angehenden Mitte des 19. Jahrhunderts, galt Kautschuk noch als klebriges Zeug, mit dem man vielleicht noch Regenmäntel abdichten konnte. Wenn man das nur irgendwie fest kriegen könnte und weniger tacky … Goodyear, notorisch pleite, witterte ein Geschäft. Er vertickte angeblich sogar die Schulbücher seiner Kinder, um sich ein kleines Labor und Chemikalien zu leisten. Damit kochte er eine Weile herum – eigentlich wie ein moderner Alchemist –, aber nichts klappte. 

 

Bis er eines Tages einen Klumpen Kautschuk neben einem Häufchen Schwefel auf seinem Ofen vergaß. Bang! – das Hartgummi war erfunden. Sagen wir mal so: Hätte der Mann aufgeräumt und in einem saubergeleckten Labor gearbeitet, wäre das nicht passiert. Mit anderen Worten: Ein kleiner Fehler – und die Welt war um einen neuen Werkstoff reicher, der unter anderem, weil er so schön nach Ebenholz aussah, unter dem herrlichen Namen „Ebonit“ verkauft wurde. 

 

 

Die Sache mit dem Heilpflanzen-Öl

 

Den Rest der Geschichte kennen wir: Heute werden im Jahr so rund 13 Millionen Naturkautschuk geerntet und nach Goodyears Schwefel-Rezept – oder modernen Abwandlungen davon – zu Gummiprodukten weiterverarbeitet, darunter zwei Milliarden Reifen (wobei da auch synthetische Kautschuke drin sind – anderes Thema). Leider hatte Goodyear selbst nicht allzuviel von seiner Entdeckung: Irgendwie wollte es mit dem Marketing nicht so recht hinhauen, der Gummientdecker blieb ein armer Mann und musste wegen seiner Schulden sogar ins Gefängnis. Vielleicht hätte er mehr Fehler machen sollen.

 

Aber kein Problem, es gibt andere Geschichten aus der Polymerbranche, die gehen ein gutes Stück besser aus. Sagt Ihnen zum Beispiel Polystyrol etwas? Die Meisten kennen diesen Kunststoff in seiner aufgeschäumten Variante, die gerne als Dämmstoff verwendet wird („EPS“ – das steht für „expandiertes“ Polystyrol). Aber wer hatte das Zeug als erster in Händen? Einstein? Ein BASF-Chemiker? Nun: Genau genommen war das ein Apotheker, der Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem ätherischen Öl einer Heilpflanze experimentierte. Er gewann daraus eine klare, stinkende Flüssigkeit, die er eine Weile auf der Fensterbank stehen ließ – und dort vergaß. Irgendwann nahm er den Glaskolben wieder in die Hand – und staunte nicht schlecht: Aus der Flüssigkeit war ein seltsames Gel geworden. Das ätherische Öl hiess Styrax, die Flüssigkeit nannte der Mann Styrol

 

Was es mit der geheimnisvollen Wandlung des Styrax-Öls zu tun hatte, das war lange so ein Art chemischer Yeti: Einfach nicht zu packen. Wenn man genau hinsah, hatte es dieselbe Zusammensetzung wie Styrol, war aber trotzdem ganz anders. Das Geheimnis dahinter durchschaute erst Jahre später ein Münchener Chemieprofessor, der dafür dann auch einen Nobelpreis bekam. Auch eine andere Geschichte. Wichtig ist nur, dass sich Styrol in Polystyrol verwandelt hatte – das wir nun freundlich auf der Weltbühne begrüßen. Den Rest schafften dann aber tatsächlich Chemiker der heutigen BASF – Reichspatent: 1929, wir gratulieren.

 

Bis das Polystyrol dann aber so richtig durch die Decke gehen konnte, brauchte es allerdings einen weiteren Fehler: Ein BASFler (oder IGFarbler, steht im zweiten Teil) namens Fritz Stastny stellte zu Versuchszwecken eine kleine Scheibe aus Polystyrol her (in einer Schuhcremedose übrigens), legte sie in einen Trockenschrank – und vergaß sie dort. Als er sie einige Stunden danach hervorholte, saß der Dosendeckel „neckisch wie eine Baskenmütze auf dem Schaumstrang“. Was war passiert? Offenbar war noch eine Flüssigkeit in dem dicht verschlossenen Scheibchen gefangen gewesen, das dann im Ofen fröhlich verdampft war. Und dabei kleine Bläschen gebildet hatte. 

 

Viele Leute hätten das Ding mit der Baskenmütze weggeworfen, ist halt schiefgegangen, der Versuch, was soll’s, weiter im Text, aber Stastny sah sich seine geplatzte Schuhcremedose näher an, grübelte etwas und verfeinerte die Sache mit den Gasbläschen dann ein wenig weiter – Patent 1952. 

 

Eigentlich wollte er ja einen neuen Werkstoff finden, mit dem man Kabel isolieren kann. Aber das aufgeschäumte Polystyrol, EPS, war auch nicht schlecht: 2020 wurden weltweit deutlich über sechs Millionen Tonnen des leichten Materials verkauft.

 

Noch mehr Fehler, die viel Geld eingebracht haben, gibts im zweiten Teil dieses Beitrags – demnächst auf diesem Bildschirm.