Eigentlich mag ich Redewendungen ja. „Die längste Reise beginnt mit dem falschen Fuß“, „Der frühe Vogel fängt den Ohrwurm“, so Sachen – da habe ich ja auch schon ausführlicher drüber geschrieben. Einer dieser Sprüche ist für mich jedoch in etwa das, was eine abgelaufene Tütensuppe für Feinschmecker ist: „Kunst kommt ja wohl von Können. Wenn es von Wollen käme, hieße es Wunst“. Meistens folgt dieser unfreiwilligen Bloßstellung der eigenen geistigen Fallhöhe ein „Wuahahaaha“, das nun wirklich alles bedeuten kann, außer: Hey Leute, es kann natürlich auch sein, dass ich mich hier irre.
Sicher: Künstler waren mal Handwerker, die etwas können mussten
Ganz offen: Wer derartig tote Hunde in den Park führt, löst bei mir eine Art Fremdschämen deluxe aus. Drücken wir es mal höflich aus: Wer den Wunst im Köcher führt, ist mental in der Kunst des ausgehenden Mittelalters verwurzelt. Oder hat, um es weniger charmant zu verbalisieren, ein paar Jahrhunderte Kunstgeschichte verschlafen.
OK: Versetzen wir uns einmal in einen geachteten weltlichen oder kirchlichen Fürsten vor ein paar Jahrhunderten. Wenn der seinen Speisesaal mit einem teuren Fresko ausstatten lassen wollte, suchte er sich natürlich den besten Maler aus, der damals für Geld zu kriegen war. Sicher auch zum Angeben, klar, aber bestimmt auch, um sicherzugehen, dass er sein Abendessen am Ende gepflegt im Anblick eines als solchen erkennbaren Herrn Jesu Christi einnehmen konnte, statt neben Heiligen mit windschiefen Gesichtern in Leuchtfarben verzagt sein Brot wegmümmeln zu müssen – weil der Künstler a) sein Handwerk nicht beherrschte oder b) künstlerisch ein wenig auf Abwege geraten war. Wer also sichergehen wollte, der holte vorab ein paar Informationen ein: was kann der Maler, was hat er bisher gemacht, bei wem hat er gelernt. Und dann breitete er Verträge auf dem Tisch aus, in denen sogar die verwendeten Pigmente auf’s Gramm genau abgesprochen wurden.
Aber: Das waren auch Zeiten, in denen Künstler, bis auf Ausnahmen, eigentlich mehr oder weniger als Handwerker galten. Noch heute kann man in Museen Werke von Malern oder Holzschnitzern bewundern, die „Meister des Pusemuckeler Altars“ heißen, weil sich bei Ablieferung des Großwerks damals irgendwie niemand den Namen des Schöpfers gemerkt hat.
„Picasso hat doch auch schiefe Gesichter gemalt“
Es gab also tatsächlich eine Zeit, da kam Kunst von Können. Aber das hat sich – wie vieles – ein wenig geändert. Die Kunst hat ja heute auch einen ganz anderen Job, als Fürstenschlafzimmer und Kirchen zu dekorieren oder das jugendliche Antlitz eines reichen Bürgers für die bevorstehende Greisenzeit festzuhalten.
Und, schauen wir der Tatsache ins blaue Auge: Heute legt man ein paar Euro auf den Tresen des Künstlerbedarfs, lädt sich bei YouTube einen Kurs im Pinselhalten runter – und kann sich als neuer Picasso fühlen. Der hat doch auch schiefe Gesichter gemalt, oder nicht? Und wem Picasso ein paar Nummern zu groß ist, vielleicht weil er sich doch ein wenig auskennt, der schaut sich vielleicht Bob Ross-Videos an und kann anschließend mit einigem Erfolg Bob Ross-Bilder malen.
Und wer Bob Ross nicht kennt – ein hagerer, freundlicher Mann mit Schlaghosen und Mikrofonfrisur übrigens, der berückend schöne Landschaften auf Leinwände gezaubert hat –, der besucht vielleicht Lehrgänge, in denen durchaus respektable Künstler ihren Schülern zeigen, wie man ein Bild aus Schneckenhauspulver und Leberwurst macht. Und das machen dann alle. Dasselbe Bild.
Das sei natürlich allen gegönnt. Und natürlich braucht man auch dafür ein gewisses Können, sonst müsste man das nicht unterrichten. Wer kochen will, muss Zwiebeln schneiden können.
Aber ist man dann auch gleich Koch? Ist man, wenn man ab und zu eine Bob Ross-Landschaft aus dem Atelier trägt, schon Künstler? Und ist das, was man da produziert hat, tatsächlich Kunst? Oder vielleicht doch eher dekorative Malerei?
Irgendwas zu Können ist heute keine Kunst mehr
OK: Selbstverständlich – und zum Glück! – hat hier jeder seinen eigenen Begriff. Aber darum soll es auch gar nicht gehen. Ich habe dazu mal einen Redakteur eines Kunstmagazins gefragt, der sich wirklich ausgekannt haben muss, so cool, wie er sein Glas Vernissagen-Sekt halten konnte. Also: „Was ist Kunst?“ „Das, was Künstler machen.“ „Und wann ist man ein Künstler?“ „Wenn man sich dazu berufen fühlt.“ „OK. Und was ist dann gute Kunst?“ „Das weiß ich auch nicht. Das weiß niemand.“ Das lasse ich mal so stehen.
Denn das Schöne ist: Wenn man den Fokus nur ein klein wenig aufzieht, merkt man schnell, dass man sich diese Frage nach der guten Kunst aus dem Bob Ross-Space gar nicht stellen muss. Denn es gibt eine Menge Leute, die haben für sich längst einen anderen Weg gefunden. Es gibt Kreative, die wollen gar nicht erst einem Kunstverdacht ausgesetzt werden, sofern sie sich dafür in eine Schublade zwängen müssen, auf der „Kunst kommt von Können“ steht.
Denn Können kann ja heute jeder irgendetwas. Etwas zu können ist also keine Kunst mehr. Es ist ein kleines bisschen wie beim Punk: Drei, vier irgendwo abgeguckte Gitarrengriffe und eine Flasche Korn vor dem Auftritt lassen nicht gerade eine künstlerische Offenbarung erwarten. Aber als Gegenreaktion zu dem bis ins Feinste durchkomponierten Rock a la Queen & Co. ist es am Ende genau das.
Es gibt Maler, die versuchen, ganz bewusst nichts zu malen, was irgendwie nach Irgendetwas aussieht. Ich kannte mal einen, der im wesentlichen unstrukturierte Farbflächen und Linien auf die Leinwand brachte, die im Idealfall so gezogen waren, wie die Fliege fliegt. Also weit weg von jedem Schöpfungsplan. Ich meinte allerdings einmal, auf einer seiner Arbeiten ein Haus erkannt zu haben. Der Mann hat sich entschuldigt.
Andere versuchen zu malen wie Kinder, weil die noch nicht so geprägt sind wie wir Erwachsenen. Aber damit vielleicht näher an der Wahrheit? Wer weiß. In diesem Zusammenhang: Die einzig korrekte Antwort auf „Das ist keine Kunst, das kann ich selber“ ist: „Dann mach es doch.“ Vielleicht schlummert ja auch in Ihrem Nachbarn ein neuer Jonathan Meese.
Das Konzept entscheidet!
Andere Kollegen verstecken sich gleich ganz hinter ihrem eigenen Schatten und lassen zum Beispiel ganz bewusst Roboter oder Algorithmen die Arbeit machen. Oder kaufen irgendwelches Zeug und stellen es auf den Kopf (OK, diese Idee ist inzwischen auch wieder alt …). Ich fotografiere alte Renaissance-Schinken, verkleide sie mit Aluminium und ätze darauf herum. Wieder andere lassen von Goldschmieden Platinschädel mit Brillanten besetzen, malen Nackedeis von alten Meistern Unterwäsche auf oder lassen sich von einem Zulieferer Plastik-Osterhasen entwerfen, die dann per Extrusionsblasformen in Großauflage gehen – Bang: Kunst! Große Gegenwartskünstler unterhalten ganz selbstverständlich Werkstätten mit mehreren Mitarbeitern, um die Nachfrage zu befriedigen oder sie Dinge erledigen zu lassen, auf die man selbst keinen Bock hat (übrigens eine Praxis, die bereits Renaissance-Meistern wie Albrecht Dürer nicht unbekannt war). Wenn das in ein durchdachtes künstlerisches Konzept passt und am Ende auch noch genug Leuten spannend erscheint: warum nicht?
Mit Können im mittelalterlichen Sinne hat das aber nicht mehr viel zu tun. Höchstens mit einem guten ästhetischen Gespür und vielleicht einem gerüttelt Maß an Marketing-Skills.
Mal ganz abgesehen davon, dass selbst die größte Kunst nie mehr als ein Traumschloss gewesen wäre, wenn nicht irgendwann jemand gesagt hätte: Ich WILL das jetzt machen!, sind wir hier genau an dem Punkt, an dem aus der Kunst mit vollem Recht die Wunst wird.
Vielleicht ist es ja so: Als Künstler muss man zumindest im Ansatz irgendwas können, geschenkt. Aber viel wichtiger ist, den entscheidenden Schritt „voran“ gehen zu wollen – in welche Richtung auch immer. Natürlich: Auch Künstler wollen und müssen von etwas leben. Aber die meisten, die ich kenne, räumen eher bei Aldi Regale ein als für Geld Bob Ross-Stillleben zu produzieren, die so gar nicht ins eigene künstlerische Habitat passen.
Das tausendste Blumen-Stillleben macht niemanden zum Künstler
Zum Schluss noch zwei Dönekes, die aus anderer Warte beleuchten, was ich meine. Ich habe mal einen Kunstprofessor gefragt, wie er damit klar komme, dass so viele seiner Studenten am Ende ihres Studiums Taxi fahren müssten, nachdem sie über Jahre so großartig malen gelernt hätten. Falsche Frage! „Wissen Sie, alle meine Studenten sind unfassbar begabt. Sonst kämen sie gar nicht erst durch den Auswahlprozess. Die können bereits alles. Hier im Studium lernen sie, sich durchzusetzen und mit Kritik umzugehen.“ Damals fand ich das rätselhaft. Heute begreife ich, was er meinte.
Mit anderen Worten: Können wird längst vorausgesetzt. Es kommt darauf an, Ideen zu haben und durchsetzen zu wollen. Meinetwegen kann man das dann Kwunst nennen. Oder Dingdongfallera, wie auch immer. Aber „Kunst kommt von Können“ – das ist, in dieser Verengung, peinliches altes Denken.
Was kann man daraus als Unternehmer lernen? Kunst ist eben nicht nur Können. Ein gutes Konzept kann reichen. Und ein gerüttelt Maß an Marketing, geschenkt. Aber ohne den Willen, Neues zu schaffen, läuft nichts. Und vor allem: Man muss es nicht von Anfang an richtig machen. Manche Produkte überzeugen schon, weil der Kunde sieht: Das geht in die richtige Richtung, das klingt spannend! Vergleichen Sie mal das erste iPhone mit dem aktuellen Modell.
Und vor allem darf man sich nicht von Nörglern von seinem Weg abbringen lassen.
Genau das die Einstellung, die heute auch Entrepreneure und Unternehmen brauchen.
Zum Schluss noch Story Nummer zwei: Auf einer Kölner Messe stand ich einmal vor einer Zeichnung eines großen Künstlers, auf der lediglich drei dünne, gerade Bleistiftlinien zu erkennen waren. Der Galerist wollte dafür ein paar Tausend Euro haben. Ein Paar begeisterte sich dennoch dafür. Ich fragte vorsichtig, was ihnen denn daran gefiele. Die Antwort: Weil es dem Künstler gelungen sei, mit nur drei Linien so präzise einen ganzen Raum zu erfassen. Meine Reaktion ist ein guter Rat an Sie: Erlauben Sie sich ruhig, auch in einem Museum mal zu lachen.
Meiner Ansicht nach sind diese armen Leute in eine Falle getappt: Weil die Arbeit von einem berühmten Künstler stammte, musste sie ja wohl auch irgendwie „gekonnt“ sein. Pustekuchen. Wahrscheinlich hat der Mann nur sein neues Lineal ausprobiert und den Zettel aus Jux signiert.
Wer die Sache mit der „Wunst“ für sich abgehakt hat, kann also auch bares Geld sparen. Wuahahaaha.
Kommentar schreiben